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Danke Oma und Opa für Euren grandiosen Sieg

Fundstück am 8. Mai irgendwo an einer Tankstelle in Russland. Man erinnert sich daran dass es die Grosseltern waren die die Heimat gegen die Eindringlinge verteidigten.

Die gefeierten Veteranen werden am 9. Mai gefeiert mit Reden, Paraden und Blumen. Allerdings werden sie ebenso schnell wieder vergessen wenn es um vernünftige Wohnungen und medizinische Behandlung im Alltag für sie geht. Die „Sieger“ haben am 9. Mai 1945 gesiegt, leben heute aber leider oftmals schlechter als das Volk der Besiegten von einst.

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Der nachfolgende Artikel ist sehr lang geraten, sorry, ich meinte soviel sagen zu müssen.  Und jetzt kommen sicher die Kommentare von der einen oder anderen Seite. Ok, holt Euch einen Kaffee, lest Euch das Ganze durch und dann …die Diskussion ist eröffnet.

Seit Monaten sitzen sie nun in Untersuchungshaft in Rußland. Von den drei Frauen aus der Gruppe „Pussy Riots“ ist die Rede. Die drei Frauen hatten eine „Performance“ im Altarraum der Christi Erlöser Kathedrale in Moskau veranstaltet und sich dabei im Rahmen eines Punk-Gebetes mit dem Titel „Heilige Jungfrau Maria befreie uns von Putin“ filmen lassen. Die Aktion wurde nach wenigen Minuten von Sicherheitsleuten beendet und die Frauen an die frische Luft gesetzt. Das Video wurde nachbearbeitet, der passende Text und die Musik unterlegt und ab ging es damit in das Netz wo man es heute in vielfältiger Form finden kann.

Kaum jemand hätte Notiz von den provokanten Performances der Gruppe genommen. Schon vor einiger Zeit hatten die Aktivistinnen ähnliche Veranstaltungen durchgezogen, mal in der Moskauer U-Bahn, mal auf der ehemaligen Hinrichtungsstätte auf dem Roten Platz. Dort hatten sie im Rahmen einer Performance den weltbewegenden Satz „Aufstand in Russland – Putin hat sich in die Hose gepißt“ zu Besten gegeben. Die Weltrevolution brach dadurch nicht aus. Auch die Atmosphäre des Kairoer Tahir Platzes wollte sich einfach nicht einstellen und einen „wilden Tag“ wollte offensichtlich auch niemand „mit starken Frauen“ verbringen. M. a. W. soviel Action und so wenig Resultate. Da musste schon stärkeres Geschütz heran.

Man fand es, wie man meinte, in der Christi-Erlöser-Kathedrale und der Publizierung des Videos im Netz. So hatte man selbst sich in eine breitere Öffentlichkeit begeben und wartete offensichtlich auf Antwort. Die ließ auch nicht lange auf sich warten. Zu den Konsumenten der Videos gehörten, man staune, auch die „rechtswahrenden Organe“ wie sie in Russland genannt werden. Kein Wunder daß sich eben diese Organe der Sache annahmen und in der Folgezeit drei der fünf Performancekünstlerinnen verhafteten. Die sitzen jetzt seit fünf Monaten in U-Haft mit der Begründung daß für sie Fluchtgefahr bestünde. Diese Annahme erscheint nicht ganz abwegig zu sein. Dafür spricht die Tatsache daß sich zwei weitere Beteiligte an der Kirchenaktion der Verhaftung dadurch entzogen daß sie sich absetzten wie weiland Lenin in die finnische Schilfhütte.

Mittlerweile gab es in der Sache einen Voruntersuchungstermin in dem die U-Haft der drei Frauen bis maximal Januar 2013 ausgedehnt wurde. Am 30. Juli war der erste Verhandlungstermin in Sachen „Pussy Riot“ der zumindest von der westlichen Öffentlichkeit mit einem breiten Angebot an Kommentaren begleitet wurde. Kein Wunder daher daß neben anderen Medien sich auch das grüne Haus- und Hofblatt der fleischgewordenen Empörung Claudia Roth, ihrer Osteuropaexpertenkollegin Marie-Louise Beck und des männlichen Pendants zur jederzeitigen Empörung, Volker Beck, also die TAZ, ihren Senf zum Thema absondern musste, diesmal an einem Tag sogar mit zwei Artikeln. Zeit sich mindestens einen der Artikel unter der Überschrift „Unverschämt vor Gericht“ genauer anzuschauen.

Bereits der erste Absatz lässt denjenigen stutzen der sich nicht auf die Lektüre des Zentralorgans der alternativen Besserverdiener beschränkt. Heißt es bei anderen Gazetten noch daß sich die Bemühungen von „Pussy Riot“ gegen Putin richten, so u.a. „Die Zeit“  die das Thema unter „Punk gegen Putin“ abhandelt, so kann der staunende Leser der TAZ nicht nur lernen daß der russische Staat gemeinsam mit der Kirche jetzt gegen die Freiheit der Kunst kämpft. Darüber hinaus kann man zumindest am Vormittag des 30. Juli – quasi als netten Nebeneffekt – auch noch lernen daß der Autor Klaus-Helge Donath zwar auf Kriegsfuß mit dem Genitiv steht, dafür aber dem Dativ hochleben lässt. Er schreibt nämlich, daß der Prozeß gegen Pussy Riot beginne „wegen einem Auftritt in der Kathedrale.“

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Am Nachmittag hatte das TAZ Qualitätssicherungsteam den Mangel an Genitiv beseitigt, denn es heißt „Der Prozess gegen die russische Band Pussy Riot beginnt – wegen eines Auftritts in einer Kathedrale. Staat und Kirche kämpfen vereint gegen die Freiheit der Kunst.“ Wenigstens der Genitiv ist gerettet. Im weiteren Verlauf mag sich der Eindruck eines schnell aus anderen Publikationen zusammengeguttenbergten Artikels nicht zu zerstreuen Denn dort heißt es der Prozess beginne am Montag „vor dem Moskauer Bezirksgericht.“ Wer Moskau im Gegensatz zum TAZ Autor auch nur annähernd kennt, dem drängt sich unmittelbar die Frage auf welches der zahllosen Bezirksgerichte in Moskau wohl gemeint sein könne. Schließlich besteht sowohl Moskau, als auch andere größere Städte Russlands i.d.R. aus nicht nur einem Bezirk. Moskau hat zehn Bezirke wie man sogar als TAZ Schreiber mittels Wikipedia hätte feststellen können. Und jeder Bezirk hat sein Gericht. Aber haben wir Verständnis, schließlich ist die Zeit knapp, morgen wird dem Leser eh wieder eine andere Sau angeboten die durch das Dorf getrieben wird. Wer wird da schon kleinlich sein? Der Verfasser des TAZ Artikels wähnt die Verhandlung vor DEM Moskauer Bezirksgericht als schlechtes Omen. Schließlich habe DIESES Gericht schon den früheren Oligarchen und Eigentümer des Yukos-Konzerns Chodorkowski zu mehreren Jahren Lagerhaft verurteilt. Wenigstens hier nähert sich der Verfasser teilweise Russland an. Russland ist bekannt dafür daß es eine ausgesprochene Aberglaubenskultur hat. So soll man, wenn man dem bösen Blick entkommen will dreimal über die linke Schulter spucken, nun ja, und der Autor glaubt eben an Omen.

Falsch ist daß das Gericht sich der Sache annimmt die schon M. Chodorkowski verurteilt habe. Chodorkowski wurde von einem Richter verurteilt während die Verhandlung gegen „Pussy Riot“ von einer Richterin geleitet wird. Noch weniger Ahnung weist der Autor auf, wenn er die Lagerhaft Chodorkovskis anspricht. Hier offenbart sich, neben anderem, ein eklatanter Mangel an Wissen um den russischen Strafvollzug. Hätte der Verfasser wenigstens da Grundkenntnisse aufzuweisen, dann wüsste er, daß es im Bereich des russischen Strafvollzuges verschiedene Bezeichnungen für Haftanstalten gibt. Unter dem Begriff „Tjürma“ versteht man i.a. Strafvollzugsanstalten die in Städten angesiedelt sind. Unter „Lager“, die Strafgefangenen selber sprechen dabei von „der Zone“, versteht man i.d.R. Haftanstalten außerhalb Städten und Siedlungen. Der Begriff ist aus der Stalinzeit und dem damit verbundenen Begriff des „GULAG“ – Gosudarstvennoe upravlenie lagera“ / staatliche Lagerverwaltung – bekannt. Und so soll der der Ausdruck „Lager“ ja wohl auch wirken. Man stelle sich nur vor, die Frauen bei Holzfäll- oder Kanalbauarbeiten im hüfthohen Schnee bei mindestens minus zwanzig Grad. Gekleidet in schwarze oder blaue Steppjacken, die die Kälte nur mühsam abwehren können. Ab und zu übertönt das Heulen eines Wolfes das Brausen des üblichen Schneesturms in der Taiga wo gerade die Abendsonne untergeht. Die Assoziation an „Soweit die Füße tragen“ oder Heinz Günther Konsalik und sein Buch „Die Verdammten der Taiga“ drängt sich auf.

Erwähnt werden muß im Artikel natürlich daß der seinerzeitige Prozeß gegen Chodorkowski rechtsstaatlichen Verfahren Hohn sprach. Klar ist danach nämlich auch, daß der unterschwellige Grundsatz zu gelten hat „einmal rechtsstaatswidrig, immer rechtsstaatswidrig“.

Was soll man von den massenhaft herumlaufenden KGB-Schergen im ehemaligen „Reich des Bösen“ auch anders erwarten? Das Wort von den „Stalinistischen Schauprozessen“ fehlt bei der Beurteilung der Situation vielleicht noch? Immerhin hatte das Gericht vorgehabt die Verhandlung im Internet per Stream zu übertragen. Aber kaum war das gesagt, da tönte aus dem Westen bereits „Stalins Schauprozeß“.

Die  anschließende Verhandlung die auf Antrag der Anklage nicht im Internet übertragen wurde muß dann wohl ein „Moskauer Geheimprozess“ sein. Allerdings wurden die Verfechter der „Seht mal Stalin ist nicht tot“-Linie enttäuscht. Immerhin gab es so etwas wie eine Textzusammenfassung im Netz, allerdings auf Russisch. 

Zuzugeben ist daß Verfahrensakten von rund dreitausend Seiten und eine mehr als kurz bemessene Frist zur Aufarbeitung der Akten durch die Verteidigung nicht gerade dafür sprechen daß hier eine Rechtsstaatsorgie gefeiert werden soll. Ich weiß nicht wie man die Situation beschreiben soll.

Manchmal denke ich die beste antirussische Propaganda wird wohl absichtlich oder unabsichtlich immer noch in Russland selbst gemacht.

Vollends absurd wird es im Artikel wenn der Kremlastrologe im TAZ Schreiber durchkommt und er die Causa Pussy Riot mit der Abrechnung Putins mit den unbeugsamen Oligarchen vergleicht. Er verkennt nämlich den grundlegenden Charakter beider Phänomene und deren Bedeutung für Russland. Beim Kampf gegen die Oligarchen handelt es sich um den Kampf gegen eine Gruppe von Leuten die sich maßlos bereicherten indem sie entweder den Verkauf von herrenlosem Vermögen mit unbekanntem Wert an Leute, die kein Geld besitzen organisierten, oder selbst in den Genuß der so verscherbelten Staatsassets Russlands kamen. Bei Pussy Riot hingegen handelt es sich um eine kleine Gruppe die den Begriff der „Kunst“ nutzen um ihre eigenen politischen Ziele unter das Volk bringen zu können. Dabei sind sie auch gewillt traditionelle in der Bevölkerung weitestgehend anerkannte Regeln wie z.B. die Unantastbarkeit von Sakralstätten zu brechen.

Wenn der Autor schreibt daß Putin die nationale Führungsfigur zu sein habe, kann schon froh sein dass der Schreiber ihn nicht zum „Führer“ macht. Und von diesem „Führer“ ist bekannt, daß er durch Wahlmanipulationen und öffentliche Proteste in Russland angeschlagen sei. Selbst dem wohlmeinensten Verteidiger Russlands hat zwischenzeitlich gedämmert daß die Präsidentschaftswahl in Anlehnung an die seinerzeit in Russland propagierte „gelenkte Demokratie“ als „gelenkte Wahl bezeichnet werden kann. Und das ist noch eine freundliche Umschreibung. Inwieweit das „Wahlen lenken“ allerdings zu einem anderen Präsidenten als Putin geführt haben würde möchte ich einmal offen lassen. Belege für die abenteuerliche Behauptung daß Putin – bei der Mehrheit der Bevölkerung – angeschlagen sei, muß der Verfasser nicht bringen. Profanes Faktensammeln – früher Recherche genannt und im Film über Watergate, „Die Unbestechlichen“, mit Robert Redford und Dustin Hoffman gezeigt – ist nicht mehr en vogue. Warum sich also damit belasten? Der Name Putin, vielleicht noch ergänzt mit der Bezeichnung „KGB-Agent“ allein muß ausreichen um eine Gänsehaut zu erzeugen und ersetzt so Fakten.

Schön zu wissen ist weiterhin, wenn der TAZ Schreiber erkannt hat, daß das russische Volk Putin nicht mehr blindlings folge. Diese Erkenntnis des TAZ Redakteurs lässt nämlich in dankenswerter Offenheit Rückschlüsse auf sein Bild „der Russen“ (die es so nicht gibt) zu. Es handelt sich dabei offenbar um eine wüste Mischung aus „neuem Russen“ a la Prochorov, gepaart mit bettelnden Babuschkis vor den Moskauer Metroeingängen, abschließend garniert mit einem „kleinen Schuß“ treidelnder Wolgaschiffer, die im ewigen Joch Schiffe wolgaaufwärts schleppen müssen und dabei ihre melancholischen Lieder singen.

Im Gegensatz zu diesem Bild „des Russen“ kann derjenige der sich mit Russland ein wenig mehr auskennt und Russland nicht mit dem Aufenthalt in den beiden Metropolen Moskau und St. Petersburg allein verwechselt, viele Initiativen benennen in denen sich Bürger bereits zusammen geschlossen haben um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Genannt sei hier beispielhaft die Bewegung der „Blauen Eimer“  und der Protest gegen die Abholzung des Waldes von Khimki in dessen Gefolge der Bürgermeister Juri Luschkow seinen Posten unter Angabe anderer Gründe verlor. Und hätte sich der Verfasser wirklich Gedanken um die Protestbewegung in Russland gemacht, dann wäre ihm dieser Artikel vielleicht in die Hand gefallen  und er hätte gesehen daß die Mehrheit der in Russland Protestierenden sich eher für ein Russland als demokratischen Rechtsstaat interessieren als für die Ablösung Putins.

Weiter geht die rauschende Fahrt durch den TAZ Artikel. Unter der Zwischenunterschrift „Vorwurf:’Rowdytum“ und „konfessioneller Hass’ wird zunächst einmal aufgeführt daß das Gesetz für „Rowdytum“ eine Strafe von „maximal“ sieben Jahren vorsieht. Die sieben Jahre Haft, genannt in Absatz zwei des Artikel 213 des StGB Russlands, müssen für wohl fast alle westlichen Journalisten so faszinierend gewesen sein, daß man kaum einen westlichen Artikel findet in dem nicht auf das maximale Strafmaß hingewiesen wird. Insoweit kann man auch ein landläufiges Russlandklischee bedienen das man wie folgt zusammenfassen kann: „Arme friedlich demonstrierende Mädchen werden zu sieben Jahren Lagerhaft verurteilt.“ Heimlich still und leise übersieht man absichtlich oder unabsichtlich daß es sich um die maximale Strafe für Rowdytum gemäß Artikel 231 Abs. 2 des StGB der Russischen Föderation handelt. Andere im Absatz 1 vorgesehene Strafen sind Geldstrafen, Arbeitsleistung bis zu vierhundertachtzig Stunden und andere Strafen. Der Schreiber verkennt schließlich, daß der Vorwurf des Schürens „konfessionellen Hasses“ den Tatbestand des „Rowdytums“ nicht zusätzlich verschärft, sondern bereits Bestandteil des allgemeinen Tatbestandes des Artikel 231 Abs 1 Zif. B) des StGB der Russischen Föderation ist.

„Google – und auch Wikipedia – ist dein Freund.“ möchte man dem Schreiber zurufen. Und weiter geht es mit dem Bedienen billigster Klischees Rußland betreffend wenn er schreibt, daß die Mitglieder von „Pussy Riot“ Wollmasken getragen hätten, die schon im Krimkrieg von den Engländern getragen worden sein sollen und in diesem Krieg habe sich die Rückständigkeit Russlands erstmals deutlich offenbart. Wie rückständig muß daher das Land auch heute noch sein wenn es entsprechend hart auf die Wahrnehmung „künstlerischer Freiheiten“ in einer der Hauptkirchen regiert? Welchen Maßstab der Verfassen anlegt und warum ein Land so „rückständig“ ist, wenn es denn „rückständig“ ist, auf diese Frage kommt der Verfasser nicht. Was gibt es Schöneres als wenn man alte weitverbreitete Vorurteile über Russland seiner geneigten Leserschaft nur deshalb schnell und umfassend bedienen kann weil man erstens selbst frei von „störendem Hintergrundwissen“ aber statt dessen mit „gesundem Halbwissen“ versehen ist und zweitens darauf bauen kann daß das beim Lesepublikum ebenfalls der Fall sein wird.

Zur Rückständigkeit Russlands sei anzumerken, daß Rußland, wie andere Staaten auch, ein säkularer Staat ist in dem Glaubensbekenntnisfreiheit gilt. Artikel 28 der Verfassung der Russischen Föderation  Jedem wird die Gewissensfreiheit und die Glaubensbekenntnisfreiheit garantiert einschließlich des Rechts, sich allein oder gemeinsam mit anderen zu einer beliebigen Religion zu bekennen oder sich zu keiner zu bekennen, religiöse und andere Überzeugungen frei zu wählen, zu haben und zu verbreiten sowie nach ihnen zu handeln. Und dieses Recht steht den Gläubigen zu und beinhaltet auch daß sie es nicht hinnehmen müssen wenn ihre Kirche als Schauplatz von „Kunst“ missbraucht werden soll. Das sollten vor allem die beherzigen, die an anderer Stelle sich vehement für freie Religionsausübung einsetzen und den klassischen Satz prägen „Religiöse Positionen verdienen auch dann Schutz der Rechtsordnung, wenn sie meine Position nicht respektieren.“

Fahren wir fort in der Argumentation des Artikels so kommt schnell wieder der KGB ins Spiel. von dem man weiß natürlich weiß daß Putin dort seinerzeit gearbeitet hat. Wenn man jetzt noch kurz nachweisen kann dass auch der Metropolit, also quasi das russisch-orthodoxe Pendant des Papstes beim KGB war, dann haben wir ein unschätzbares Argument für den Fall gefunden, daß sich praktizierende Gläubige, deren Glauben man teilen mag oder nicht, sich gegen die „Zwangsmissionierung“ a la „Pussy Riot“ in der Christi-Erlöser-Kathedrale wenden. Man nimmt einfach das Totschlagsargument der „KGB-Leute“ ungeachtet der Frage ob die KGB-Eigenschaft hier eine Rolle spielt oder nicht. Dann ist jedenfalls das Handeln von „Pussy Riot“ in einer Kirche gerechtfertigt, oder etwa nicht? Gut zu wissen ist es in diesem Zusammenhang natürlich auch, wenn die Frauen im Nachhinein beteuern einen Kampf gegen die führen zu wollen, die den wahren Glauben verzerren. Bedauerlich nur dass im ganzen „Gebet“ in dem die Mutter Gottes gebeten wird Russland von Putin zu erlösen, sich kein Hinweis auf die glaubensreformatorischen Hintergründe findet.

Bedauerlich ist weiterhin, daß die Frauen ihre Hilfe bei der Bewahrung des wahren Glaubens erst später nach Abschluß ihrer Performance erklären und hinzufügen daß die Performance nichts mit religiösem Hass zutun habe. Das nehme ich ihnen sogar ab. Hochachtung vor dem verfassungsmäßig garantierten Recht der Gläubigen sieht jedenfalls anders aus.

Gut ist auch der folgende verkürzte Absatz. Er beschreibt worum es eigentlich geht: „Ob sie – die Teilnehmer an der Performance – mit einer so scharfen Reaktion von Kreml und Kirche gerechnet haben? … Zumindest sind sie jetzt populär und in aller Munde.“ Und genau darum geht es, in aller Munde sein. Und wie erreicht man das im Zeitalter der medialen Überfütterung? Durch Provokation. Nur sollte man sich dann nicht wundern wenn die herbeiprovozierte „Antwort“ auch kommt. Weiter geht es im Artikel wenn es denn da heißt sie, d.h. die Mitglieder von „Pussy Riot“ wollten mittels ihrer Performance die Gesellschaft auf die „komplizierten Beziehungen zwischen sakralem und säkulärem Raum, zwischen Kunst und Religion, Kunst und Recht aufmerksam machen. Und um diese nachgeschobene und durch nichts belegbare Behauptung mit einem Anschein von Seriosität zu versehen wird der Deus ex machina des „bekannten Kunstkritikers“ bemüht. Der versteht, im Gegensatz zum gemeinen Pöbel mit seinen rückständigen Ansichten zu dem was Kunst ist, etwas von „wahrer“ Kunst. Und deshalb ist sein Urteil bei der Frage ob es sich bei der fragwürdigen Darbietung in der Kathedrale um Kunst handele oder einfach nur – wie weiter vorn im Artikel auch behauptet – nur um einen Spuk handelte, das nicht Urteil das man weder anzuzweifeln hat und das deshalb auch allein selig machend ist.

Die deutsche Öffentlichkeit ist in ihrer Meinung zu „Pussy Riot“ offenbar geteilt auch wenn die Stimmen derer die eine differenzierte Betrachtung vorziehen in Deutschland weniger zu hören sind. Während sich Stimmen mit „Free Pussy Riot“ im Netz verlautbaren lassen, gibt es auch gegensätzliche Ansichten. So heißt es z.B. in einem Kommentar im Spiegel:

„Ich finde das rigorose Vorgehen gegen die Damen vollkommen in Ordnung! Erst „todesmutig“ einen auf großen Provokateur machen, jetzt aber die ganze Weltpresse behelligen, wie gemein man doch zu ihnen sei. … Hätten die Mädels Ihr peinlich pubertär-dekadentes Happening einmal nicht in einer christlichen Kirche, sondern in der Kaaba in Mekka oder einem sonstigen muslimischen Heiligtum durchgezogen – dann säßen sie jetzt auch nicht in U-Haft (oder besser gesagt: das was von Ihnen übrig wäre). Sorry, aber jenseits des Am-deutschen-Gutmenschen-Wesen-soll-die-Welt-genesen-Universums gibt es noch Länder, Völker und Gesellschaften, die noch Grenzen kennen. Man stelle sich das vor … „

Nun, soweit muß man vielleicht nicht gehen. Kommen wir aber zu einem ganz einfach Punkt. Wer mit Gruseln an die Strafen des russischen Strafgesetzbuches für diese Fälle denkt, der sei auf zweierlei hingewiesen. Erstens, Rußland steht mit den Regelungen – obwohl allzu gummiartig gefasst, nicht allein. Wer sich da informieren möchte, dem sei das bundesdeutsche StGB ans Herz gelegt und da insbesondere § 166 StGB.

§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Eine gute Zusammenfassung zum Problem der Beschimpfung weltanschaulicher Bekenntnisse die manche ja auch in Deutschland verschärfen möchten ,gibt es hier.

Und zweitens, ein wenig mehr Gelassenheit von allen Seiten wäre nicht fehl am Platze. Ja, die Gruppe hat sich unkonventioneller Mittel bedient. Ja, insgesamt halte ich es für fraglich welchen „Kunstbegriff“ die Gruppe hat wenn ich mir die Aktion der Vorläufergruppe „Woina“ = „Krieg“ anschaue. Im auf Youtube befindlichen Video „Der Leiter der Kunstgruppe „Woina“ antwortet auf Fragen von REN TV“ hat die Gruppe ein Video ins Netz gestellt. In diesem Video kann man ab Sekunde 46 sehen wie eine „Kunstaktion“ der Gruppe des nachts abläuft. Da wird schlicht ein Polizeifahrzeug in St. Petersburg umgeworfen. Welch erhabene Kunst, da bleibt mir die Spucke weg.

Bei uns im Westen, der im Gegensatz zu Russland ja unverhältnismäßig viel demokratischer ist, kann man regelmäßig nach dem 1. Mai in Berlin Kreuzberg oder anlässlich von Auseinandersetzungen im Hamburger Schanzenviertel ähnliche „Kunstaktionen“. Die werden dann ab und zu durch deutsche Gericht ein undemokratischerweise als das bezeichnet was es ist, Sachbeschädigung gepaart mit Landfriedensbruch. Aber hier sind wir ja in Russland. Und da ist wenigstens aus der Sichtweise einiger westlicher Zeitgenossen offensichtlich alles erlaubt was sich gegen die Regierenden richtet. Denn wer es noch nicht weiß, Russland ist noch unterentwickelt und bedarf der vorsichtigen und behutsamen Begleitung durch Berufene auf dem Weg in die Demokratie westlicher Prägung. Dazu gehört wohl auch daß es stillhalten sollte wenn „Künstler“ sich an Polizeifahrzeugen zu schaffen mache, ist ja schließlich Kunst, also etwas Höheres das sich dem gemeinen Pöbel mit seinem beschränkten Horizont nicht unmittelbar erschließt.

Weiter heißt es in einem Kommentar in einem Forum zu Russland:

„Eine Riot Grrrl Band, die sich Pussy Riot (Fotzen Randale) nennt, soll jetzt …auch noch was vom Christentum halten? Erzähl das einem anderen. Und hier werden Leute, die in der Kirche Theater machen, genauso bestraft, auch wenn deren Aktionen sich nicht gegen die Kirche richten. Diese verrückten Hühner brauchen sich nicht zu beschweren. Nirgendwo auf der Welt wurde eine Revolutionärin verschont, nur weil sie ein kleines Kind hatte. Die Pussy Riots heulen doch nur rum, obwohl allen klar ist, dass alles eine billige Promo für ihre Band ist. Ich würde mich als Anarchist eher schämen, dass die debilste Yellow Press im Westen einen abfeiert. Pussy Riot ist eine peinliche Poser-Band und mehr nicht. Aber die russischen Anarchos sind ja genauso peinlich…“ … Und ich habe kein Problem damit, dass die Gesetze in Russland härter sind. … “

Vielleicht ein wenig hart, aber so ist Vox Populi in Deutschland. Von Anti-Putin ist bei denen die sich intensiver mit Russland befassen, Land und Leute kennen und vielleicht sogar dort wohnen wenig zu hören. Wer hätte das gedacht? Moderatere Töne im Forum klingen dann so:

„Das es für solch einen blöden Unfug eine Strafe geben muss, da braucht man glaube ich, nicht drüber diskutieren. Egal, ob man da russische oder mitteleuropäische Maßstäbe ansetzt. Aber 3-4 Wochen Sozialarbeit in einer Kirche oder einem kirchlichen Alten- oder Kinderheim sind da in meinen Augen angemessener als 8 Wochen Untersuchungshaft mit was immer dann auch noch kommen mag (2.500 Rubel Strafe bis 5 Jahre Kolonie). Aber wie … schon sagte: Wenn man schon u.U. die Strafe nicht abschreckend genug machen kann (ohne das sich darüber dann jemand ordentlich aufregen kann), dann macht man das eben mit der (künstlich verlängerten?) Untersuchungshaft. Obwohl DAFÜR eigentlich so gut wie kein Grund existiert.“

 „Es ist eindeutig, WAS die Damen da in der Kirche getan haben. Da muss niemand monatelang Nachforschungen betreiben oder Zeugen befragen, da es eindeutige Videoaufnahmen gibt. Wie dieses (traurige) Schauspiel nun rechtlich zu werten ist, dass ist eine andere Frage. Aber es besteht auf jeden Fall keine Begründung, warum man die Damen in Untersuchungshaft behält, weil eben keine langwierige Untersuchung notwendig ist. Und selbst wenn eine längere Untersuchung notwendig WÄRE, dann besteht wohl kaum Fluchtgefahr (könnte man mit einem Hausarrest lösen) und auch keine Verdunklungsgefahr. Den „Putin muss weg“-Gesang empfinde ich ebenfalls als absolut harmlos. Das ganze in einer Kirche zu machen und noch dies als eine Art Gebet darzustellen, das ist ziemlich geschmacklos und sollte nicht gänzlich straffrei bleiben. Allerdings sollte da eine Geldstrafe mit 5-stelligem Rubelbetrag und 4 Wochen Arbeit in einem kirchlichen Kinderheim vollkommen ausreichend sein.“

Gut gefallen hat mir das russische t-Shirt. Dort ist kurz gesagt die Lösung auf den Punkt gebracht wenn es heißt

„Gott wird sie richten und nicht das Moskauer Stadtgericht“.

Nachtrag:

Ob Putin sich hat von der öffentlichen Meinung beeindrucken lassen (halte ich für sehr unwahrscheinlich, man denke an den zweiten Tschetschenienkrieg der auch trotz weltweiter Proteste lief) oder sich einfach ein lästiges Problem vom Halse schaffen wollte, all das kann auf sich beruhen.

In einem Artikel der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti anläßlich des Besuches von Präsident Putin in London heißt es zur Causa „Pussy Riot“ daß Präsident Putin eine harte Bestrafung der Mitglieder der Punkband weder für sinnvoll noch für wünschenswert halte. Weiter äußerte sich Putin in dem Artikel wie folgt „Oder wenn sie – die Mitglieder von Pussy Riot – im Kaukasus  eine muslimische Sakralstätte entweiht hätten, dann wären nicht einmal in der Lage gewesen sein, um sie inUntersuchungshaft zu nehmen.“

„Dennoch, ich denke nicht, dass sie hart dafür bestraft werden sollten“, sagte der Präsident weiter. „Ich hoffe, sie ziehen gewisse Schlüsse. Dennoch ist es Sache des Gerichts die endgültige Entscheidung zu treffen „, sagte er.

Mit den Worten des früheren sowjetischen Botschafters der UdSSR Pjetr Abrassimov könnte man sagen „Ende gut, alles gut“

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Manchmal ist es ganz gut wenn man den Rechner aufräumt. Und sei es auch nur weil man dauernd die Meldung „Ihre Platte ist bald voll“ bekommt.

 

Den nachfolgenden Text habe ich beim Aufräumen gefunden. Er stammt aus dem Jahr 2001 als ich in der Ukraine in einem Projekt der EU gearbeitet habe. Er ist aber wohl immer noch aktuell was Hotels in den Regionen angeht. Und nun, viel Spaß beim Lesen.

 

Das war sie nun, die Fahrt nach Ternopil.

 

Die Frage „Wer will nach Ternopil?“ wurde wohl nicht mit allzu großer Begeisterung aufgenommen. Nur so ist  es zu erklären, dass wir das 4-Mann-Abteil für uns zwei haben als der Zug am Abend Kiev Richtung Lvov verlässt. Die Sterne sind vom Bahnsteig aus noch gut zu sehen. Das lässt nichts Gutes erwarten was die Temperaturen in dieser Nacht anbelangen wird. Die Jungs von der Wehrmacht in ihrer schnittigen Sommeruniform fallen mir wieder ein. Kein Zug, kein Haus, aber Sterne massenhaft, muß gemütlich gewesen sein.

 

Die Zugbegleitung, eine kleine eher rundliche Frau undefinierbaren Alters, erscheint und die Bettwäsche wird bezahlt, 2 DM pro Mann und Nase. Auf die erbetene Quittung warten wir bis zum Ende der Reise vergeblich. Die überzählige Bettwäsche sammelt sie wieder ein. Ihr Ukrainisch kann ich ahnen aber nicht völlig verstehen, macht nichts, in diesem Jahr wollte ich sowieso einen Ukrainisch-Crashkurs besuchen.

 

Tee und Kaffee gibt es auch, wer will, zu beziehen über Misses Rundlich. Waren in den früheren sowjetischen Staatsbahnen hübsche Teegläser anzutreffen mit Metalleinfassungen auf denen der Arbeiter und die Kolchosbäuerin um die Wette grinsten, oder der ruhmreiche Sputnik den von Hammer und Sichel umkränzten Erdball umrundete, so sind diese Gläser heute nur noch auf dem Flohmarkt für Touristen anzutreffen .. wahlweise in Kiev oder selbst in Berlin.

 

Unser Tee kommt in zwei Tassen daher, die auch schon mal bessere Zeiten gesehen haben könnten, einheimisches Steingut mit dem Charme sowjetischer Erzeugnisse und meine noch dazu angeschlagen. Fröhliches Grau steht auf dem bald schon im Schienentakt schaukelnden Tischchen. Es soll ja nicht auf ewig sein.

 

Der Zug verlässt den Bahnhof, los geht’s nach Westen, nur keine voreiligen Schlüsse. Bald hat uns das „Dumm-Dumm“ der Schienen auf die weitere Fahrt eingestimmt. Dania beginnt ihre Hausaufgaben in Deutsch zu machen und ich komme endlich dazu ein paar längst überfällige Schriftstücke zu lesen im Schein der matt dahindämmernden Wandbeleuchtung. Im Verlauf der Fahrt soll diese Beleuchtung mal schwächer mal stärker leuchten. Wer weiß wie ein Fahrraddynamo arbeitet weiß auch warum das Licht schwankt. Der ICE Berlin-Stuttgart fällt mir ein, warum nur?

 

Der Zug schaukelt und ächzt und erzählt so von besseren Zeiten, Zeiten in denen er und die Schienen noch ohne Reparatur auskamen, lang ist es her.  Mein Ibook ist das hellste im Abteil, der Bildschirm leuchtet schneeweiß, genau das Schneeweiß, das die Bettwäsche vermissen lässt. Auch hier bestimmt fröhliches Grau die Bühne. Wir machen es uns gemütlich, Kekse, Tee, was will man mehr? Ein bisschen Heizung wäre nicht schlecht. Heizung, so erfahren wir, gibt es nur auch den Langstreckenzügen, Kiev-Ternopil ist Kurzstrecke. Das Abteil ist nicht Kalt, aber eben auch nicht übermäßig überheizt. Schön, dass ich dicke Wollsocken trage.

 

Wir bauen die Betten. Eine Matraze wird aufgelegt, darüber das erwähnte Laken mit der Herausforderung für Ariel, dann wieder ein Laken und zum Schluß eine Decke die im Sommer gute Dienste leisten würde … und wir sind im Winter. Das Kopfkissen wird noch mit einem Überzug versehen und schon kann man sich zur Nacht betten. Wenn, ja wenn es nicht so vom Fenster ziehen würde. Vielleicht bei der Heimfahrt mit dem Kopf zur Tür schlafen ? Schauen wir mal.

 

Der Morgen kommt und mit ihm Frau Rundlich. Licht an, Ternopil liegt noch eine halbe  Stunde vor uns. „Ob wir die Fahrkarten wieder haben wollen“ fragt sie. Und ob, meine Buchhalterin wird sonst sauer und die 126 Hrivna sind perdu und das wollen wir doch nicht.

 

Ternopil wird erreicht. Es ist noch dunkel. Auf dem Bahnsteig steht schon jemand der uns ein Taxi anbietet. Auf zum Hotel „Ternopil“ das die Kollegen vom hiesigen deutschen Projekt vorab gebucht haben. Die Buchung auf meinen Namen ist nicht auffindbar, macht nichts. Wir füllen die Anmeldeformulare aus, raten wir wieder mal Ukrainisch. Geschafft. Zimmer 330 empfängt uns mit der aus dem Zug bekannten Kühle. Nach einer halben Stunde ist klar was los ist, das Außenfenster steht offen. Jemand hat irrtümlich den Sommer erwartet … im Januar.

 

Die Ausstattung ? Kein Telefon wird uns stören, auch das Zimmerradio wird uns nicht tot Brüllen. Das Telefon ist einfach nicht vorhanden und das Kabelradio tut es einfach nicht mehr, soll sein. Zwei Betten stehen längs der Wand. So kommen unzüchtige Ideen einfach erst gar nicht auf. Die Toilette gekoppelt mit dem Bad empfängt mich. Eine Sammlung verschiedenster Kacheln in Braun und beige ist irgendwie an die Wand gebracht worden. Der Wasserhahn versorgt gleichzeitig die Dusche und das grüne Waschbecken. Die Heizung … warum ist die überhaupt hier ? … hat auch schon mal bessere Zeiten gesehen. Wo das Heizungsrohr durchgerostet ist hat man ein Stück Autoreifen aufgelebt und das ganze mit einer Schlauchschelle zusammengezurrt. Damit es nicht gleich ins Auge springt ist das ganze mit weißer Farbe übermalt. Wieder was gelernt. Den letzten Überfall mit Farbe … gemeinhin Anstreichen genannt … hat die Toilettentür glorreich abgewehrt, die Farbe bröckelt ab.


Bei der heutigen Morgenlektüre fielen mir die russischen Omas auf, die Russlandim Mai beim Songcontest in Baku vertreten werden. Sie passen so gar nicht zum weithin gepflegten Bild der Alten die in den Moskauer U-Bahn-Aufgängen stehen und betteln. Dazu sollte man wissen dass die Omas die dort stehen auch nicht für „Gottes Lohn“ dort stehen sondern sie sind straff organisiert und haben einen Teil ihrer Einnahmen am Abend abzuliefern.“Unsere“ Babushkis von denen hier allerdings die Rede ist, sind nicht aus Moskau sondern aus der Region Burjatien.

Burjatien liegt im Föderationskreis Sibirien an der Grenze zur Mongolei. Burjatien umfasst das Ostufer des Baikalsees und reicht bis zum Jablonowygebirge. Die wichtigsten Flüsse der Republik sind die Selenga, der Bargusin und die Obere Angara.

Wer die Musik der agilen Alten hören will sollte auf YouTube mal nach „Buranovskiye Babushki“ suchen. Wer immer schon mal wissen wollte wie „Let it be“ auf Burjatisch klingt, bitte sehr

 

Nachtrag

Ja so ist das wenn man nicht genau hinhört. Die Girly-Group stammt NICHT aus Burjatien, sondern Udmurtien. Wer nicht weiss was das ist oder wo das liegt, bitte sehr. Und der Song ist dann natürlich udmurtisch und nicht burjatisch, aber das haben Kenner sicher schon herausgehört.

 

Udmurtien liegt im europäischen Teil Russlands westlich des Uralgebirges zwischen den Flüssen Kama und Wjatka. Das Klima ist gemäßigt-kontinental. Der Naturraum der Republik ist vorwiegend durch die Taiga geprägt.

Na, dann drücken wir doch mal die Daumen für unsere „Schwestern im Osten“.

Do swidanija Maria

Ich blogge schon seit geraumer Zeit. Erst gab es eine kleine WEB Site über Russland, dann kam ein erster Blog über Russland. Der Blog zog um und ist nun schon seit einigen Jahren hier online.

Blogging ist zeitintensiv wenn man es richtig machen will und meine Selbstdisziplin ließ oft zu wünschen übrig. Da war dann Maria aus Essen. Wir haben uns „im Netz“ getroffen und dann haben wir uns auch im wahren Leben getroffen. Du hast meine Blogs fast von Anfang an gelesen. Du hast mich immer angeschupst wenn schon länger nichts mehr dort passierte. Du hast auch Korrektur und gelesen und Du warst meine unerbittlichste Kritikerin. Kürzer ist besser, das war Dein Credo.

Deine Kritik habe ich sehr ernst genommen, auch wenn wir uns in den letzten Jahren nicht so oft mehr gesehen hatten. Skype und Email und von Zeit zu Zeit eben das Telefon und sogar „richtige Briefe“, so blieb der Kontakt am Leben. Viel haben wir besprochen in den13 Jahren in denen ich Dich kannte. Du hast mir den Ruhrpott gezeigt den ich ohne Dich wohl nie besucht hätte. Seit dem weiß ich u.a. was der Baldenei See ist und wo er liegt. Das Volkwang Museum, hätte ich es ohne Dich je besucht? Viele Bücher hätte ich ohne Dich nie bemerkt geschweige denn gelesen. Du hast nicht nur mein Leben bereichert.

Selbst zutiefst persönliche Dinge konnte ich mit Dir bereden, danke dafür. Zuletzt habe ich Dich in 2010 besucht. Ich wollte Dich immer noch besuchen. Nun ist es zu spät. Am 14. Februar bist Du für immer gegangen. Du wirst vielen von uns fehlen.

Lang lang ist’s her

Habe beim „Aufräumen“ einen meiner ersten Blog „wiedergefunden“ im Netz. Ganz gut schon, aber ich merke, heute schreibe ich anders. Egal, wer den Blog nicht kennt,

hier ist er.

Viel Spass

Nun, dass Russland nicht nur aus Bären besteht, die nach Ansicht einiger Zeitgenossen allerorts die Straßen in den Orten Rußlands bevölkern, hat sich hoffentlich mittlerweile schon herumgesprochen. Rußland, das ist entgegen weitläufig herrschender Meinung, auch nicht die Putin-Diktatur die manch so genannter Journalist dem unbedarften Leser im Westen verkaufen will. Allerdings sind die „lupenreinen Demokraten“ in Rußland, wie übrigens auch in Deutschland, nur mit der Lupe mit größter Vergrößerung zu finden und auch dann nur unter erheblichen Schwierigkeiten auszumachen. Beresovskji im Exil in London wie auch sein russischer Landsmann Guzinski würde ich nur unter erheblichen Einschränkungen dazu zählen können.

Und um dem letzten Vorteil über Russland endgültig den Garaus zu machen kann ich glaubhaft versichern, daß die Mehrheit „der Russen“ nicht wodkatrunken durch die Strassen torkeln. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden daß der Alkoholismus – zu dem ich vielleicht mal in einem gesonderten Artikel kommen werde – eines der großen Probleme Rußlands ist, leider.

Rußland, das sind die  unendlichen Weiten, die Wäldern, die Steppen, die gastfreundlichen Bevölkerung die dem Gast das Letzte anbietet, auch wenn sie selbst nicht wissen wie sie den nächsten Tag fristen sollen. Rußland, das sind u.a. Moskau und St. Petersburg, Tver, Nizhnyi Novgorod, Novosibirsk aber auch Magadan und die Inseln im Weissen Meer.

Und, man höre und staune, Rußland ist eine Kulturnation, auch wenn das ab und zu von westlichen selbsternannten „Russlandexperten“ in Abrede gestellt wird. Zu dieser Kulturnation gehören Andrei Rubljov der Ikonenmaler ebenso wie Alexander Puschkin und Nikolai Gogol mit seinem „Revisor“, meinem absoluten Lieblingsstück, das so aktuell wie nie ist und das nicht nur für Russland und die Ukraine. Ich vergaß, Gogol war eigentlich Ukrainer, aber das soll an dieser Stelle weniger interessieren.

Rußland, das sind neben seinen Malern und Dichtern auch seine Komponisten wie Pjotr Tschaikovsky, Alexander Borodin und Michail Glinka . Wer an Rußland denkt, der sollte seine Museen, die Eremitage in St. Petersburg genauso wie die Tretyakov-Galerie in Moskau und weitere ungezählte Museen nicht vergessen. Dort kann sich der interessierte Zeitgenosse, falls nötig, monatelang in die bildende Kunst Russlands versenken und kann sicher sein, nicht auch nur annähernd einen Einblick in Russlands Kultur erworben zu haben.

Russland, das sind ferner seine Tanzemsembles, die professionellen wie das Ensemble „Berezka“ (spricht sich „Berjoska“ aus und bedeutet Birke), als auch seine ungezählten aber deshalb nicht unbedingt schlechteren Laienensembles, die Tänze der Kosaken als auch die Lieder und Tänze der weitaus weniger bekannten Völker aus dem hohen Norden Russlands, aus Jakutien z.B. Diese Völker, wenn das erlaubt ist zu erwähnen, haben die russischen Herrscher jeglicher Zeit übrigens, im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen aus den Vereinigten Staaten nicht fast vollständig ausgerottet. Daß es trotzdem manchmal nicht ohne Repressionen abging wie beim Volk Tschetscheniens, das unter Stalin in die Verbannung geschickt wurde, soll allerdings auch nicht unerwähnt bleiben.

Wer nun meint dass „die Russen“, die nicht gleichzusetzen sind mit den Bewohnern der Russischen Föderation, den ganzen Tag mit Balalaikaspiel oder, wie die Völker im  hohen Norden mit dem Spiel der Maultrommel zubringen, auch der muss enttäuscht werden. Längst haben sich Elektronik, Synthesizer und Keyboard auch den Weg in den entlegensten Winkel gebahnt. Wer Russland dann noch auf  „Kalinka“ oder „Podmoskovnie vechera“ eindampft, der kennt den russischen Rock einer Gruppe wie „DDT“ ebensowenig wie den russischen Ethno-Pop der Gruppe „Ivan Kupala„.

Ein junger russischer Kosake von heuteUnd wer die Tanzkultur Russlands auf das Bolschoi Ballett oder das Ballett des Marienskyi Theaters von St. Petersburg reduziert, der hat nicht einmal ein Promille der Tanzkultur Russlands erfasst. Zu dieser Tanzkultur gehören nämlich neben den oben bereits erwähnten Tanzensembles auch die sich selbst als BBoys“ bezeichnenden Breakdancer Russlands. Ja, der Breakdance hat schon lange seinen Weg nach Russland gefunden und nicht nur in die großen Zentren Russlands.

Russlands Kultur ist also, wie man sieht, vielfältig, wie auch die Kultur Deutschlands, die von ausländischen Touristen allzu oft auf Lederhose, Gamsbart und Seppelhut reduziert wird.

Die russische Kultur die ich abschliessend vorstellen will, ist das Schaffen einer jungen russischen Künstlerin deren derzeitiges Oeuvre so viel versprechend erscheint, dass mit Recht zu vermuten steht, man werde von ihr in der Zukunft noch hören. Es handelt sich dabei um die bildende Künstlerin Margarita Alexeevna Kolcova aus der Stadt Tver an der Wolga. Die junge Nachwuchskünstlerin ließ erst heute einige ihrer Werke nach Leipzig verbringen. Das Werk „Unterwasserwelten“ aus dem Jahre 2011 ist eines ihrer jüngsten Werke. Und hier ist es.

Unterwasserwelten, Filzstift auf Malpapier, Tver 2011

Unterwasserwelten, Filzstift auf Malpapier, Tver 2011

Dass sich bei der Nachwuchskünstlerin um meine Enkelin handelt, sei der Vollständigkeit halber abschließend erwähnt. Euch allen noch ein schönes Wochenende.

Ein Beitrag des ZDF Magazins Frontal21! vom 13. September 2011 zeigt wieder einmal was ich bei meinen Einkäufen in Rußland schon länger vermutet habe. Rußland scheint nach Ansicht manch eines westlichen Industrieunternehmens der „Abfalleimer“  zu sein, mit dem man nach Belieben verfahren kann, alles nach dem Motto „Mit Rußland kann man’s machen.“

Wenn Waren nach Russland exportiert werden, dann kann man auch mal Fünfe gerade sein lassen. Ob giftiges Spielzeug aus China, abgelaufene Medikamente die umettiketiert werden und dann, oh Wunder wieder wirksam sind oder eben „aufgepumpte“ Hähnchen aus Deutschland, egal, ist eh nur für den Export  und gut genug für „die Russen“.

Worum geht es? Es geht darum daß eine deutsche Tochter des französischen Konzerns „Doux“, was übrigens „Süß“ heißt, die Guts-Gold GmbH aus Grimmen in Mecklenburg-Vorpommern, Hähnchen, die für den Export bestimmt waren, ein wenig gewichtsmäßig „gepimpt“ hatte, soll heißen, die Hähnchen wurden so mit Wasser behandelt dass sie selbst nach ihrem Ableben erstaunlicherweise noch an Gewicht „zunahmen“.

Das wundersam zunehmende Hähnchen kommt nicht nur in Rußland vor und es müssen auch nicht immer Hähnchen sein. Jedermann kennt das Problem. Man legt ein hinreichend großes Schnitzel z.B. in die Pfanne und das gute Stück dampft innerhalb weniger Minuten auf kaum mehr als Briefmarkengröße zusammen. Das Geheimnis ? Wasser. Und so eben auch bei diesen Hähnchen die ja „eh nur für den Export“ waren. Bei solch einer Nachbehandlung der Hähnchen handelt es sich um die Erschleichung von EU Subventionen. Die EU subventioniert den Export landwirtschaftlicher Produkte und für die Höhe der Subvention ist eben u.a. das Gewicht entscheidend.

Mal abgesehen davon, dass diese Subventionen den Steuerzahler Unmengen an Geld kosten, darauf will ich hier mal nur beschränkt eingehen, finde ich es eine ungeheure Schweinerei jeden „Rotz“ nach Rußland zu schicken mit dem Hinweis daß sei für „die gut genug.“ Sind „die“ Menschen zweiter Klasse? Meint man mit „denen“ mal kurz die „Schnelle Mark“ machen zu können?

Wer will noch Pensionsnachschlag?

Wer will noch Pensionsnachschlag?

Viele Menschen in Rußland haben heute noch einen Lebensstandard der weit unter dem ist was man in Deutschland darunter versteht.  Einkommen von umgerechnet 250 bis 300.- Euro monatlich sind in Regionen außerhalb der Ballungszentren Moskau und St. Petersburg keine Seltenheit. Daher achtet die russische Hausfrau zuerst einmal auf den Preis. Und Geflügel, insbesondere Importgeflügel ist oftmals billiger als Schweinefleisch oder gar erst Rindfleisch. Diese Einkommen erklärt auch die Popularität des Imports von Geflügelteilen aus den USA nach Rußland, die seinerzeit bei den Russen als „Noshki Busha“ – Bushs Beinchen – bekannt waren. Sie waren preiswert für die russische Hausfrau und all die, die in Rußland nicht an übervollem Geldbeutel litten. Und darum griff der russische Verbraucher zu.

Die subventionierten Importlebensmittel sind zudem oftmals auch noch billiger als einheimische Ware und machen es so russischen Produzenten schwer sich am Markt zu behaupten. Aber Gott sei Dank gibt es mittlerweile auch russische Geflügelproduzenten die dem Ansturm westlicher Waren stand halten. Die Geflügelfarm „Verkhni Volzhskij Ptitse Fabrika“ beliefert den Oblast Tver mit frischem und gefrorenem Geflügel und die dort produzierten Hähnchen heben sich geschmacklich positiv von dem ab, was dem russischen Verbraucher da sonst noch als „toter Broiler“ in den Tiefkühltruhen der örtlichen Supermärkte angeboten wird.

Rentnerin im Supermarkt

Rentnerin im Supermarkt

Wie dem auch sei, ich finde es eine Sauerei diejenigen die eh nicht soviel in der Tasche haben auch noch mit „gepimpten Hähnchen“ über den Tresen ziehen zu wollen. Was kann  man dagegen aus russischer Sicht tun? Nun, ich bin nicht die russische Regierung. Aber wenn ich das wäre was würde ich tun?

Ich würde den Landesoberveterinär, Herrn Anishshenko in die Spur setzen und von ihm ein völliges sofortiges Importverbot für EU Geflügel unter Hinweis auf die zweifelhaften Praktiken der „Doux“-Gruppe verhängen lassen. Dieses sofortige Einfuhrverbot würde ich auch umfassend mit Gründen im Westen kommunizieren.

Sollen sich doch die anderen Geflügelproduzenten bei der französischen Firma „Doux“ bedanken ür das Importverbot bedanken, unter dem dann alle zu EU Geflügelproduzenten zu leiden haben werden.  Ich bin sicher der EU-interne Druck und der Druck der Konkurrenten würde die Verantwortlichen bei „Doux“ und deren Töchtern schon hinreichend disziplinieren.

Ich bin mir leider weiterhin sicher dass eine EU interne Aufklärung der Vorfälle kaum zu einem brauchbaren Resultat führen wird. Zu gut ist die Vernetzung von Politik und Lobby auf allen Ebenen. Und falls nicht der Fall ist, dann braucht eine große Firma ja nur mal beiläufig auf den „Verlust von Arbeitsplätzen“ hinweisen um weiteres Vorgehen gegen sie im Keime zu ersticken. Man stelle sich das mal in einer Stadt wie Grimmen im strukturschwachen Meck-Pomm vor. Die Ergebnisse sind, bis hinauf zur Landesregierung vorhersagbar.

Aber es gäbe da eine, m.E. sehr viel wirkungsvollere Methode.

Im Mittelalter waren die Handwerker,  zu denen auch die Bäcker zählten, in gesonderten Zünften organisiert. Diese Zünfte beschränkten einerseits den Zugang zu bestimmten Berufen und schützen die Mitglieder so vor Konkurrenz. Andererseits wachten die Zünfte aber auch darüber, dass ihre Mitglieder die vereinbarten Mindeststandards bei Waren und Dienstleistungen einhielten. Im Falle von Verstößen versuchten sie erst zu einer innerzünftlichen Lösung zu kommen und falls dies nicht gelang, schleppten sie den Missetäter auch einmal vor die weltliche Gerichtsbarkeit.

Die weltlichen Richter wandten zu jener Zeit oftmals das Recht der jeweiligen Stadt an in der die inkriminierte Handlung stattgefunden hatte. Im Falle eines Bäckers der seine Kunden dadurch zu übervorteilen suchte, daß er entweder minderwertiges Brot verkaufte oder Brot das nicht das geforderte Gewicht aufwies, in solch einem Falle gab es im Mittelalter die sog. „Bäckertaufe„. Unter „Bäckertaufe“ hat man folgende Strafe – verkürzt – zu verstehen. Der Deliquent wurde in einen kleinen an einem Kran hängenden Käfig gesperrt und dann wurde dieser Käfig nebst Inhalt entweder in einen Fluß, oder in eine Kloake getaucht. Jedermann kann sich vorstellen, daß das Verlangen der so Behandelten an erneuten Betrügereien zumindest auf absehbare Zeit ziemlich reduziert war. Nun, wir sind nicht mehr im Mittelalter, Gott sei Dank, oder leider, je nach Gesichtspunkt. Solche Strafen fallen also in unserem Fall aus. (Obwohl … könnte ich mir auch ganz gut als „Bankertaufe“ vorstellen, aber ok, das ist ein anderes Thema)

Aber werden wir realitätsnaher. Man stelle sich einmal vor, der russische Generalstaatsanwalt nähme sich dieser Sache ernsthaft an. Man stelle sich weiter vor, es käme gar zur Beantragung eines internationalen Haftbefehls gegen die Geschäftsleitung von „Doux“ und eine Fahndungsausschreibung über Interpol. Man stelle sich schließlich einmal vor, einer der Manager von Doux würde tatsächlich irgendwo bei einem Auslandsaufenthalt, z.B. beim Urlaub in der Türkei, verhaftet werden und an Rußland ausgeliefert werden. Das erstaunte Gesicht eines solchen Mitarbeiters möchte ich sehen, wenn er sich anstatt in dem bisher gewohnten Fünf-Sterne-Feriendomizil plötzlich in der „Lubjanka“ oder der „Matroskaya Tyshina“ wiederfindet und die „russische Gastfreundschaft der besonderen Art“ für zwei bis drei Monate Untersuchungshaft in Anspruch nehmen „darf“. Ich bin mir sicher, das hätte einen anhaltend nachhaltigen pädagogischen Effekt auf den unmittelbar Betroffenen als auch auf eventuelle Nachahmungswillige. Wer daran zweifelt möge mal den Ex-Oligarchen Chodorkovski fragen.

Das wäre Verbraucherschutz in Hochpotenz und das nicht nur im Interesse russischer Verbraucher, sondern auch im letztlichen Interesse derer die mit ihren Steuergeldern zweifelhafte EU Subventionen finanzieren.

In diesem Sinne

Auf dem Dachboden …

oder im Keller findet man beim Herumkramen das eine oder andere dass man fast vergessen hat und das unverdient ein trauriges Dasein fristet. So etwas passierte auch meinem Bericht über eine schon vor längerer Zeit erfolgte Fahrt von Russland in die Ukraine.

Ich finde den Artikel immer noch ganz nett und deshalb will ich ihn niemandem vorenthalten. Und deshalb wird er hier verlinkt. Wer wissen will wie das „gutnachbarschaftliche Verhältnis“ der beiden Staaten in der Praxis aussieht, wer sich hinter dem „Specialagent“ an der russisch-ukrainischen Grenze verbirgt und wie es so mit der Ausschilderung der Strassen in der russischen und ukrainischen Region (ich hasse das Wort ‚Provinz‘ … so herablassend) verhält, der ist bei diesem Artikel richtig.

Viel Spass beim Lesen, ach ja und von Seite zu Seite geht es meist über den Link unten auf den Seiten oder oben im Kopf, wo die einzelnen Kapitel aufgelistet sind.

Ende einer Dienstfahrt, Explorer auf dem Schrottplatz

Ende einer Dienstfahrt

„Tausend mal berührt, tausend mal ist nichts passiert“, diese Zeile aus dem Lied „1000 und 1 Nacht“ von Klaus Lage kennt der eine oder die andere sicher. Klaus Lage zählt zu den Sängern die ich gerne höre, aber das nur am Rande.

Sicher habt Ihr auch schon Sachen so oft gemacht daß Ihr meint das könne man auch im Schlaf erledigen. Die Sache von der ich berichten möchte, die sollte man besser nicht „im Schlaf“ machen, es handelt sich um das „Führen eines Kraftfahrzeugs“ wie es im amtlichen deutschen Sprachgebrauch heißt.

Dem Brauch, mit offenen Augen zu fahren und aufzupassen, hatte ich mich wie immer angeschlossen, als ich am 4. Juli 2011 in der russischen Stadt Tver, wie schon so oft, über die Überführungsbrücke fahren wollte, die die Südvorstadt und das Stadtzentrum verbindet und dabei die Bahngleise der Bahnstrecke Moskau – St. Petersburg überbrückt. Aber an diesem Tag gegen 18.13 sollte alles anders werden.

Die Brücke hat in jeder Richtung zwei Fahrspuren und als ordnungsgemäßer Verkehrsteilnehmer fuhr ich mit Tempo 50 auf meiner rechten Fahrspur Richtung „Südstadt“. „Unverhofft kommt oft“ so lautet das Sprichwort und genauso unverhofft kam das was dann passierte.

Das letzte was ich bewußt sah, war, daß „etwas Graues“ von vorn links auf mein Auto zugeschossen kam. Bremsen? Keine Chance. Dann kam der Aufprall, das Fliegen in den Sicherheitsgurt, dann hatte der Airbag seinen Auftritt.  Wie lange ich danach in meinem Auto gesessen habe bis ich Schmerzen fühlen und einen klaren Gedanken fassen konnte, ich habe keine Ahnung. Irgendwann war es jedenfalls soweit. Mein rechter Fuß schmerzte höllisch und nur langsam kam mir zu Bewußtsein daß mir jetzt einer in mein Auto reingerauscht war.

Ford Explorer nach Stillstand auf der Südbrücke in Tver

Mein Auto nach Stillstand auf der Südbrücke in Tver

Der Wagen hatte einen „ordentlichen Hieb“ abbekommen und das Öffnen der Tür war mehr als mühsam. Von den umstehenden Gaffern kam jedenfalls niemand auf die Idee mal zu helfen. Wie mir ein guter Freund in Deutschland, ein Arzt sagte, gilt das auch für Deutschland, ist also keine Besonderheit der Russen. Schön wäre es aber trotzdem gewesen wenn mir jemand geholfen hätte.

Hilfe nahte dann bald, gefühlt „bald“. Das russische THW (Technisches Hilfswerk), das hier „Ministerium für Zivilverteidigung, Notfälle und die Beseitigung der Folgen von Naturkatastrophen“ heißt, war ebenso zur Stelle wie die örtliche Polizei und zwei Rettungswagen.  Die Mitarbeiter des „MCHS“ ließen sich nicht lange bitten und mit kräftigem Ruck wurde die durch den Aufprall verzogene Tür fachgerecht aufgemacht. Da keine weitere Gefahr bestand, bat mich einer der Mitarbeiter auf dem Sitz zu bleiben. (Was die Mitarbeiter des MCHS sonst noch machen außer verbeulte Fahrzeuge zu öffnen kann man hier sehen).

Die Unfallfahrzeuge

Die Unfallfahrzeuge

Andere Mitarbeiter des „MCHS“ hatten sich in der Zwischenzeit um die Fahrerin des Fahrzeugs bemüht, die mir in mein Auto gefahren war, ein junges Mädchen von 21 Jahren wie ich später erfuhr. Sie war mit Vaters Wagen unterwegs gewesen. Im Gegensatz zu mir hatte sie sich der „guten alten russischen Sitte“ angeschlossen, den Sicherheitsgurt als „irgend etwas das eben im Auto ist, dem man aber keine besondere Aufmerksamkeit widmen müsse“ zu betrachten, m.a.W. sie hatte den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Als ich später an Ihrem Fahrzeug gestützt durch einen Rettungssanitäter vorbeihumpelte, konnte ich sehen, daß der Gurt noch fein säuberlich aufgerollt an der sog. „B-Säule“ hing, während ihr Airbag blutverschmiert war.

Merke: Auch in Russland müssen ALLE Fahrzeuginsassen, auch Kinder, mit geeigneten Gurten gesichert werden. Das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes wird als Ordnungswidrigkeit geahndet und ist bußgeldbewehrt, wenn, ja wenn und soweit ein Polizist das machen will. Trotzdem sieht man es immer wieder, daß Mutti oder Oma auf dem Beifahrersitz sitzen, angegurtet oder nicht ist in diesem Falle ziemlich egal, und den „lieben Sohn“ oder die „süße kleine Enkelin“ auf dem Schoß zu sitzen haben, damit der Nachwuchs die Fahrt verbessert durch gute Rundumsicht auch recht genießen kann.

Daß Mutti oder Oma dabei ihre hoffnungsvollen Sprößlinge unfreiwillig dazu nutzen die oft überalterten  Autos russischer Bauart, aber nicht nur die, auch moderne Autos westlicher Fertigung, nachträglich mit „einem unfreiwilligen Airbag oder einem unfreiwilligen Zusatzairbag nachzurüsten“, das erschließt sich diesen Leuten wohl nicht. Entweder wissen sie nicht daß gerade der Beifahrersitz der besonders gefährdete Sitz in Autos ist, oder sie ignorieren einfach die Gefahr in die sie ihre Kinder und Enkel bringen wenn die nicht fachgerecht gesichert im Auto angegurtet mitfahren.

Meine Enkelin sträubte sich anfangs auch gegen den Kindersitz und das Angurten, aber seitdem sie weiß daß Rennfahrer sich auch angurten, seitdem bewirkt der Hinweis auf Michael Schumacher Wunder. Ohne Murren erklettert sie den Kindersitz und „macht den Schumacher“ und weist den Opa darauf hin auch „den Schumacher“ zu machen.

Der Rest ist schnell erzählt. Ein Rettungssanitäter stützte mich, während ich mittels Krücken – die ich aus Deutschland zu gänzlich anderen Zwecken mitgebracht und im Kofferraum dabei hatte – zum Rettungswagen humpelte. Mein rechtes Bein wurde provisorisch geschient und auf ging es mit Blaulicht und Martinshorn ins Krankenhaus Nummer 6 der Stadt Tver. Dort ab in die Notaufnahme, dann Röntgen, eben das ganze Programm, gekrönt vom Eingipsen. Zwar wollte man mich da behalten, aber ich winkte ab, ein Fehler wie sich bald herausstellen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Blick aus dem Rettungswagen auf der Fahrt nach Moskau

Blick aus dem Rettungswagen

Dann Anruf beim ADAC in München. Ich bin nicht nur Mitglied des ADAC, sondern habe auch den Auslandsschutzbrief des ADAC, eine durchaus lohnende Geldanlage wie sich jetzt herausstellte. Mit Hilfe des ADAC, der den ganzen Transport sehr professionell organisierte, wurde ich am 5. August 2011 mittels russischem Rettungswagen von Tver zum Moskauer Flughafen Domodedovo verfrachtet wobei sich mein Rettungswagenfahrer an einen mit Blaulicht vorbeifahrende Polizeiwagen hängte und so die Fahrtzeit verkürzte.

Gut verpflegt geht es nach BerlinMit der Lufthansa ging es nach Berlin Tegel wo mich der Arbeiter-Samariter-Bund erwartete. Fahrt über die Autobahn und rund 2 Stunden später war ich zurück in Leipzig.

Was habe ich aus der Sache gelernt?

  • Erstens, das russische Motto „Gib die Straße für Raser frei“ hilft jedenfalls dann nicht, wenn der Raser auf Dich zukommt.
  • Zweitens: Der Sicherheitsgurt ist kein „Spaßartikel“ und ist auch dann anzulegen wenn man mal wieder „wenig Zeit“ hat.
  • Drittens: Ins „Reich des Bösen“ und auch in das sonstige Ausland nicht ohne Auslandsschutzbrief des ADAC.
  • Viertens: Nach Russland mit einem Kleinwagen? Wer es mag, bitte sehr, ich fahre da aber nur Geländewagen oder Autos der Marke Saab oder Volvo.
  • Fünftens: Eine Unfallversicherung hätte ich vorher abschließen sollen. Hinterher ist man schlauer.

Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei all den Leuten in Russland und Deutschland, die mir geholfen haben, als da wären zu nennen:

  • Die Mitarbeiter des MCHS Russlands die mich aus meinem Auto holten;
  • Die Polizisten der Verkehrspolizei die die Unfallstelle absicherten und die, die am nächsten Tag zwecks Aufnahme des Protokolls zu mir kamen ;
  • Die Mitarbeiter des russischen Krankenhauses Nummer 6 in Tver die sich rührend um mich und mein geschundenes Bein gekümmert haben und alles taten was in ihrer Macht stand;
  • Die Mitarbeiter des ADAC die meine Rückholung organisiert haben;
  • Die russischen Rettungssanitäter die mich nach Domodedovo transportierten;
  • Die Mitarbeiter des russischen Zolls und der Passkontrolle am Flughafen Domodedovo, die alles unbürokratisch abwickelten und die mir versicherten „daß nicht alle so fahren in Rußland“ und mich baten „ich möge das Land in guter Erinnerung behalten und wiederkommen“;
  • Die Mitarbeiter der Flughafenklinik Domodedovo die mich schließlich bis zum Flugzeug brachten;
  • Die Mitarbeiter der Lufthansa die sich sowohl im Wartebereich in Domodedovo als auch an Bord aufmerksam um mich kümmerten;
  • Die Sanitäter des Arbeiter-Samariter-Bundes die mich nach Leipzig brachten und nicht zu vergessen natürlich
  • meine Lieben in Tver, meine Liebste die nach kurz zuvor erfolgter Entlassung aus dem Krankenhaus Nummer 4 selbst an Krücken ging und trotzdem kochte, backte, briet und was sonst so nötig war, unser Sohn, der Arbeit, Einkaufen, Wohnung saubermachen und sein Break-Dance Training irgendwie so arrangierte, daß niemand zu kurz kam, unsere Tochter, die das Abschleppen sofort organisierte und alle Behördengänge erledigte und all meinen russischen und deutschen Freunden die mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen und alles tun um meine Lage zu erleichtern.

Nachtrag:

Das junge Mädchen verstarb am Tag nach dem Unfall im Krankenhaus, ein Schicksal das der angelegte Gurt vielleicht hätte abwenden können.

Wenn ich wieder per Auto „gen Osten“ unterwegs sein werde, dann mit dem? Oder mit dem ? Oder gar mit dem? Vielleicht doch eher wieder mit einem Explorer? Mit dem auf keinen Fall. Vielleicht mit dem. Oder vielleicht gleich was Richtiges um im Zweifel den Unfallort als „Sieger“ zu verlassen.

Die lange „Kinoversion“ für den der mehr zum Ganzen wissen will findet sich hier.